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Nächster Riesen-Reichsbürger-Prozess in Stuttgart? Was den Terror-Verdächtigen vorgeworfen wird

Oberlandesgericht Stuttgart
Oberlandesgericht Stuttgart. © Benjamin Büttner

Der Generalbundesanwalt (GBA) hat im Fall der mutmaßlichen Reichsbürger-Terrorgruppe um Heinrich Prinz Reuß Anklage gegen insgesamt 27 Personen erhoben. Während Reuß selbst, die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann und weitere mutmaßliche Führungsmitglieder in Frankfurt angeklagt wurden, sind auch Anklagen in München und Stuttgart erhoben worden. Der baden-württembergischen Landeshauptstadt steht damit voraussichtlich der nächste große Reichsbürger-Prozess bevor. Welche Dimensionen dieser annehmen könnte, lassen aktuelle Pressemitteilungen des GAB erahnen, die ausführlich Einblick in die bisherigen Ermittlungen gewähren.

Was den Angeklagten vor dem OLG Stuttgart vorgeworfen wird

Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart sind insgesamt neun deutsche Staatsbürger angeklagt worden: Markus H., Matthias H., Marco v. H., Markus L., Andreas M., Alexander Q., Ralf S., Wolfram S. und Steffen W. Der Generalbundesanwalt wirft allen die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vor. Ralf S. und Markus L. sind zusätzlich wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz angeklagt worden. Markus L. werden noch weitere Straftaten zur Last gelegt: Versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte.

Systemsturz und Säuberungen: Was die „Reuß-Gruppe“ geplant haben soll

Um erklären zu können, was die Angeklagten konkret getan haben sollen, muss man zunächst die mutmaßlichen Pläne der Gruppe kennen: Die Vereinigung, die auch als „Patriotische Union“ oder „Reuß-Gruppe“ bekannt ist, habe laut GBA ab August 2021 geplant, „mit einer bewaffneten Gruppe in das Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen, um dort Abgeordnete des Deutschen Bundestags festzunehmen und so den Systemumsturz herbeizuführen.“ Ziel sei die Beseitigung der bestehenden politischen Ordnung gewesen, Tote habe man dafür in Kauf genommen.

Die Gruppe teilte sich nach Ansicht der Ermittler in zwei Teile: Den „Rat“, der nach dem Umsturz als Übergangsregierung fungieren sollte, und den „militärischen Arm“, der diesen Umsturz gewaltsam herbeiführen sollte. Dafür habe man auf ein „massives Waffenarsenal“ von über 1.000 Waffen und mindestens 148.000 „Munitionsteilen“ zurückgreifen können, so der GBA.

Rat und militärischer Arm: Warten auf den „Tag X“

Während der Rat sich laut GBA traf, um Pläne für die Verhandlung mit „den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs“ zu schmieden, habe der militärische Arm versucht, Soldaten und Polizisten zu rekrutieren, habe Ausrüstung beschafft, und Schießtrainings durchgeführt. Außerdem kümmerte man sich dort nach Ansicht der Ermittler um den Aufbau von „Heimatschutzkompanien“, die gewaltsame Säuberungen auf kommunaler Ebene durchführen sollten. Bei der Gruppe wurden auch Feindeslisten gefunden.

Wie viele rechtsterroristische Gruppen wartete die „Patriotische Union“ nach Ansicht der Ermittler auf den sogenannten „Tag X“. Die Deutungshoheit darüber, wann dieser gekommen sei, lag dabei laut GBA bei der Gruppe selbst, die auf das Signal einer „Allianz“ gewartet haben soll. „Unter anderem wurde der Tod von Queen Elizabeth II als derartiges Signal diskutiert“, heißt es in einer Pressemitteilung. Diese „Allianz“ sei in der Gedankenwelt der Gruppe „ein technisch überlegener Geheimbund“. Die Vorstellung dieser nicht-existenten Übermacht, die angeblich Deutschland befreien werde, speist sich laut GBA aus einem „Konglomerat aus Verschwörungsmythen“, bestehend aus Reichsbürger- und QAnon-Ideologie.

Inwieweit waren die Angeklagten, die allesamt als mutmaßliche Mitglieder geführt werden, in diese Umsturz-Pläne involviert? Die Ermittler geben dazu in aktuellen Pressemitteilungen erstmals systematisch Einblick.

Marco v. H.: Der Ex-Soldat und die mutmaßliche Feindesliste

Marco v. H. soll laut GBA spätestens seit 2022 Mitglied der mutmaßlichen Terror-Gruppe gewesen sein. „Ihm kam in der Vereinigung eine zentrale Rolle zu, da er behauptete, direkt mit der ‚Allianz‘ in Kontakt treten zu können.“ Man habe ihm deshalb im militärischen Arm die Funktion eines Verbindungsoffiziers zur „Allianz“ zugestanden. Er nahm nach Ansicht der Ermittler an Sitzungen des Rats teil und sei „eng“ in den Aufbau der kommunalen Säuberungskommandos eingebunden gewesen.

Der vorbestrafte ehemalige Zeitsoldat Marco v. H. warb laut den Badischen Neusten Nachrichten auf Querdenker-Demos in Pforzheim für die mutmaßliche Terror-Gruppe. Laut „Spiegel“ nahm er an Schießtrainings in Bayern teil, außerdem sei bei ihm eine mögliche Feindesliste mit Namen von Menschen aus Baden-Württemberg gefunden worden. Wie wir berichtet hatten, fanden sich darauf mindestens zwei Landtagsabgeordnete, darunter der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke.

Andreas M.: KSK-Soldat als mutmaßliches Mitglied im Führungsstab

Andreas M., zum Zeitpunkt seiner Festnahme aktives Mitglied des Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, leitete nach Ansicht der Ermittler im Führungsstab des "militärischen Arms" den Bereich für Logistikangelegenheiten – Beschaffung von Waffen und Ausrüstung, Aufbau von IT-Struktur. Er sei zentral in die „Auskundschaftung zahlreicher Bundeswehrkasernen“ eingebunden gewesen, zu denen er als KSK-Mitglied Zutritt hatte. Am Aufbau der „Heimatschutzkompanien“ soll er maßgeblich beteiligt gewesen sein.

Markus L.: Reutlinger Reichsbürger, der auf Polizisten schoss

Sportschütze Markus L. soll laut GBA spätestens ab Juli 2022 Mitglied der Gruppe gewesen sein. Der Reichsbürger aus Reutlingen gilt den Ermittlern als Teil einer Heimatschutzkompanie für die Gebiete Freudenstadt und Tübingen. Neben waffenrechtlichen und sprengstoffrechtlichen Erlaubnissen habe er über ein „Waffenarsenal“ – darunter auch verbotene Waffen – sowie „Fähigkeiten im Umgang damit“ verfügt.

Das bekamen auch Polizisten zu spüren, die am 22. März 2023 die Wohnung von Markus L. in Reutlingen durchsuchen wollten. Ihm wird vorgeworfen, während des Einsatzes mit einem halbautomatischen Schnellfeuergewehr „aus nächster Nähe zahlreiche gezielte Schüsse“ auf SEK-Beamte abgegeben zu haben, zwei von ihnen wurden dadurch verletzt. Die Waffe habe L. den Ermittlern zufolge selbst zusammengebaut – mit Komponenten, die er sich im Internet bestellt habe.

Markus H.: „Verschwiegenheitserklärungen“ samt Todesdrohung

Der Angeklagte Markus H. gilt den Ermittlern als Mitglied des Führungsstabs des militärischen Arms. Sein Fachgebiet soll die taktische Luftunterstützung gewesen sein, da er über eine Fluglizenz verfügt. Er soll zusammen mit Ralf S. laut GBA außerdem „auf Weisung des Marco v. H.“ sogenannte Verschwiegenheitserklärungen ausgearbeitet haben. Mit der Unterschrift dieser Dokumente erklärten sich nach bisherigen Ermittlungen Mitwisser einverstanden, für den Verrat von Gruppen-Geheimnissen mit dem Tod bestraft zu werden. Er soll Rekrutierungstreffen im Ortenaukreis veranstaltet haben, bei denen „eine Vielzahl von Personen“ diese Erklärungen unterzeichnete.

Ralf S.: Angeblich Leiter einer „Heimatschutzkompanie“

Ralf S. soll der Gruppe im gleichen Zeitraum beigetreten sein wie Markus H. Auch er soll an der Ausgestaltung der "Verschweigenheitserklärungen" beteiligt gewesen sein. Er gilt den Ermittlern als Leiter der „Heimatschutzkompanie“ für die Gebiete Freudenstadt und Tübingen. „Er nahm regelmäßig an Zusammenkünften der Vereinigung teil und stellte dafür in mehreren Fällen sein Gartengrundstück zur Verfügung“, so der GBA. „Zudem überließ er der Vereinigung eine Armbrust nebst Laservisierung sowie Schusswaffenmunition.“

Matthias H. und Steffen W.: Aufstellung, Ausrüstung, Ausbildung

Matthias H. soll sein „Wohnanwesen“ für Rekrutierungsveranstaltungen der mutmaßlichen Terror-Gruppe zur Verfügung gestellt haben, so der GBA. H. habe die „Heimatschutzkompanie“ im Bereich Tübingen mitverantwortet. Neben der Ausrüstung und Aufstellung habe auch die Ausbildung zu seinen Aufgaben gezählt. H. soll in dieser Funktion auch Markus L. rekrutiert haben.

Während Matthias H. den Bereich Tübingen mitverantworte, soll Steffen W. im Bereich Freudenstadt für das Säuberungskommando mitverantwortlich gewesen sein. Seine Aufgaben sollen dabei laut GBA denen von Matthias H. entsprochen haben. Wie Ralf S., mit dem er sich in enger Abstimmung befunden habe, stellte auch Steffen W. nach Ansicht der Ermittler seinen Wohnsitz für Treffen des militärischen Arms zur Verfügung.

Alexander Q.: Telegram-Propaganda und Rekrutierung

Alexander Q. gilt den Ermittlern als „Sprachrohr“ der mutmaßlichen Terror-Gruppe, eine Art Propaganda-Beauftragter. Er soll auf Anweisung von Marco v. H. Verschwörungserzählungen über Telegram verbreitet haben, in denen es insbesondere um den „Tag X“ gegangen sei. Mit anderen Mitgliedern soll er außerdem geplant haben, nach dem Systemsturz einen TV-Sender zu gründen und den Bundeswehr-Radiosender „Andernach“ zu übernehmen. Q. soll laut GBA an Planungstreffen des militärischen Arms teilgenommen und Mitglieder für die Gruppe rekrutiert haben.

Wolfram S.: Laut Generalbundesanwalt zuständig für die IT

Wolfram S. wird vorgeworfen, den Aufbau der IT-Struktur der Gruppe verantworte zu haben. Er soll konkret Laptops organisiert und abhörsichere, verschlüsselte Kommunikation für den militärischen Arm ermöglicht haben. „Daneben plante er den Aufbau mehrerer zentraler Datenbanken zur Erfassung von Informationen etwa im Hinblick auf die sogenannten ‚Heimatschutzkompanien‘“, so der GBA.

OLG Stuttgart: Erfahrungen mit Reichsbürger-Prozessen

Alle insgesamt 27 Angeklagte befinden sich weiter in Untersuchungshaft. Es gilt die Unschuldsvermutung. Schon jetzt ist im Hinblick auf die möglichen Gerichtsverfahren vom größten Anti-Terror-Verfahren der bundesdeutschen Geschichte die Rede. 425.000 Seiten Ermittlungsakten sollen nach Medienberichten bereits zusammengekommen sein. 

Das OLG Stuttgart hat zuletzt Erfahrungen mit Prozessen rund um Reichsbürger und Rechtsterrorismus sammeln können – und wegen des enormen Aufwands im Frühjahr fünf zusätzliche Richterstellen genehmigt bekommen.

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